​CactusPodcast Episode 004 – Bi58

ein Nachruf für ein Pflanzenschutzmittel

Ein Nachruf für Bi58 – ein Pflanzenschutzmittel – wer macht denn sowas merkwürdiges? 
Ich! Ulrich Haage, Kaktusgärtner, Blogger und Podcaster – und ich erzähle auch warum.
Es gibt Informationen, die für viele Pflanzenfreunde von Interesse sein kann – denn Bi58 wird in Kürze Geschichte sein.
Und Nein! Das wird keine Jubelstory – dafür habe ich selbst zu lange im Pflanzenschutzalltag gearbeitet – und das hatte gar nix von Ponyhof.

CactusPodcast Episode 004 - Bi58 - ein Nachruf

von Ulrich Haage | CactusPodcast

Herzlich willkommen

… zur Episode 4 im CactusPodcast. Ich bin Ulrich Haage und erzähle heute eine Geschichte, die mich im Alltag bewegt – von Bi58.
 
Wer mit Bi58 nichts anfangen kann: das ist ein Pflanzenschutzmittel das seinen Ursprung im VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld hat und sowohl in der DDR, aber auch als Exportprodukt in anderen Ländern Verbreitung gefunden hat. Und wenn es um Pflanzenschutzmittel geht, dann werden heute damit viel mehr Menschen bewegt, als es Früher der Fall war.
 
Bi58 – kann man eine Beziehung zu einem Pflanzenschutzmittel haben? Und warum überhaupt ein Nachruf?
Ja, mir geht’s wenigstens so. Auch wenn meine Beziehung nicht immer schön war. Ich erzähle heute, wie es dazu kam. Und wie es sich für einen Nachruf gehört schaue ich auch auf das „Werden und Leben“ des Verblichenen.
Kurz: warum eigentlich der Nachruf? 
Zugegeben – das ist alles ein bisschen schräg: ein vorhergesagtes Ende. Am 31. Januar 2020 wird es Bi58 wie ich es kenne nicht mehr geben. 
 

Pflanzenschutzmittel sind nicht mehr ohne Emotionen

Ich hab mir beim schreiben überlegt – wird das Wellen machen? Pflanzenschutzmittel sind kein emotionsfreies Thema. Das polarisiert die Gesellschaft. 
Da gibt es einerseits die Menschen die sagen: 
„Ich will in meinem Garten keine Kirschessigfliegen haben, sondern schädlingsfreie  Pflanzen und Kirschen ohne Maden“! Die sind froh über Mittel die Schädlinge im Garten kontrollieren.
Wer mal eine Wolllaus-Invasion in der Kakteensammlung erlebt hat, der weiß, was ich meine.
Aber es gibt auch die Menschen auf der anderen Seite des Gartenzauns, die sagen vielleicht „Kirschessigfliege ist mir egal, das gehört zur Natur, die darf da ruhig sein. Aber ich möchte nicht, dass mein Nachbar in seinem Garten mit Gift rumspritzt, das zieht nämlich immer zu mir, ich möchte gesundes Obst und die Natur erhalten statt Zerstörung – dieses Gift muß endlich verschwinden!“
Wer hat denn jetzt recht – wer nicht? Wessen Interessen zählen mehr? 
Für mich ist das ein Synonym für unserer Gesellschaft. 
Finde ich eher einen Grund, mich über etwas aufzuregen, oder suche ich nach Lösungen? Auch wenn es ein Kompromiss ist.
Wie gehen wir mit der Meinung anderer Menschen um. 
Wie pointiert sehe ich den anderen und was er sagt? 
Bin ich der Dorn, die vereinzelte Perspektive, mit der ich stechen will – und warum? 
Oder bin ich der Kaktus, der mit vielen Sichtweisen, also der Summe seiner Dornen mein Sichtfeld erweitert und dabei ruhig in der Hand liegt – und verletzungsfrei.
Ich habe leider auch keine salomonische Lösung in petto, aber ich bekomme von unseren Kunden mit: es gibt nur wenige, die sagen: ach, eine Wolllaus, wie possierlich. Die Frage: „was kann ich jetzt dagegen machen?“ ist weit häufiger.
 

Ist Bi58 böse? – Meine Story

Für die manche Menschen sind Pflanzenschutzmittel per se böse belegt und werden mit Verachtung bestraft. 
Meine Geschichte mit Bi58 beginnt dagegen positiv. 
Und sie beginnt mal wieder in meiner Kindheit.
Wir sind als Familie sehr oft wandern gewesen. Schlafsäcke, Zelt in den Rucksack – los! 
Zu Pfingsten haben wir die Paddelboote zum Bahnhof gerollt und sind paddeln gefahren. Havel, Müritz, Elbe, Ellenbogensee, Masuren, Spreewald – haben wir alles erobert. 
Und wir sind eine große Familie – manchmal sind wir mit sechs bis zehn Booten unterwegs. Und für zehn bis zwanzig Leute muss dann auch gekocht werden. Mein Vater liebt seine kleinen und leichten Juwel-Benzin Campingkocher – und hier beginnt meine Geschichte. Der Kocher kocht mit Benzin. Nudeln, Haferflocken, Kaffee. Das Benzin muß irgendwie transportiert werden – und dazu wurden die ausgemusterten Bi58 Flaschen verwendet. Ein Liter, aus Aluminium – leicht, stabil – praktisch. Ich hab sie immer ein bisschen mit Abenteuer, Freiheit, beeindruckenden Erlebnissen in Verbindung gebracht – und das prägt – vielleicht länger als mir bewusst ist. 
 
Jahre später, gegen Ende meiner Ausbildung lande ich in der Abteilung Pflanzenschutz – Feldgemüse. Ich hatte so viel Pflanzenschutzmittel um mich herum, da ging es nicht mehr um Flaschen, die Einheit waren Hektar und Kartons – auch Bi58. Die Ergebnisse der jährlichen toxikologischen Kontrolluntersuchung beruhigten mich damals. 
Ob die manipuliert waren weiß ich nicht. Ich weiß, heute gibt es eine solche Untersuchung nicht mehr, aber Feldspritzen gibt es immer noch, die sind inzwischen größer und arbeiten heute etwas filigraner. 
Gesund oder ungefährlich ist es aber auch heute nicht – das arbeiten mit Pflanzenschutzmitteln. 
Soweit meine Story.

Bi58 im Detail

Schauen wir uns mal die Fakten zu Bi58 genauer an. 
Bi58 wurde seit den 60er Jahren in Bitterfeld hergestellt. Bi – wie Bitterfeld – das vermute ich zumindest. 
Ich habe im Bundesarchiv noch Bilder von der Produktionsstätte in Bitterfeld gefunden.
Aber sonst gibt heute nur sehr wenig halbwegs verlässliche Quellen über den Ursprung von Pflanzenschutzmitteln. 
Immerhin lerne ich: der Wirkstoff Dimethoat, ein Dithiophosphorsäureester wird 1962 in den USA zugelassen. In einem Pflanzenschutzbuch in der Handbibliothek meines Vaters finde ich einen Eintrag: 
Flasche mit 100 ml Bi58 EC – Preis 5,35 MDN.
Die Mark der Deutschen Notenbank gibt es nur von 1964 bis 1967. Also gehe ich davon aus – der Ursprung liegt in diesem Zeitfenster.

Werbung in der DDR

Als ich 1987-89 mit Bi58 gearbeitet habe gab es Bi58-WP-40 (nur im Profi-Bereich) und Bi58 EC – wobei ich heute nicht mehr sicher bin, wie Hobbygärtner zu ihren Pflanzenschutzmitteln kamen.
Vermutlich war für diese Versorgung die BHG (Bäuerliche Handelsgenossenschaften) zuständig – es konnte ja schließlich unmöglich jeder jemanden kennen …
(Facebook war damals ja noch nicht erfunden) 
Bi58 EC Werbung DDR

Bi58 EC Werbung aus der DDR

Auf dem DDR-Faltblättchen steht:
„enthält 380 bis 420 g/l Dimethoat“ – und weiter:

 

Bi 58 EC ist ein systemisch wirkendes Insektizid und Akarizid mit zusätzlicher Kontaktwirkung. Je nach Applikationsform wird der Wirkstoff über das Blatt. den Stengel oder die Wurzel verhältnismäßig schnell von der Pflanze aufgenommen, vornehmlich vom Transpirationsstrom verteilt und danach gespeichert.

Dadurch werden im Blattgewebe minierende, sowie versteckt sitzende und von der Spritzbrühe nicht getroffene Schädlinge erfaßt.
 
Solange der Wirkstoff noch nicht vollständig in die Pflanze eingedrungen ist, übt er eine Kontaktwirkung aus und sichert somit einen Bekämpfungserfolg gegen eine Anzahl beißender Schädlinge.
Bei einer Reihe von Schädlingen wird die sicherste Wirkung bei Temperaturen um 18 °C und darüber erzielt.
Die Wirkungsdauer des Mittels beträgt bei Einhaltung der Aufwandmengen 10-14 Tage.
 
Anwendungsgebiete: Acker-. Garten-‚ Obstbau sowie im Wein-. Hopfen- und Zierpflanzenbau. Ferner in Kulturen unter Glas. 
… für DDR-Verhältnisse klingt das sehr werblich.

Bi58 und Kollegen

Bi58 ist nicht alleine auf der Welt. Der international verbreitete Handelsname lautet Rogor.
Kennen wir auch. Und es gibt in Deutschland noch mehr Geschwisterprodukte: 
  • Perfekthion
  • Bi 58 (Frage: ist das Mittel schon vor der Wende mal jemandem außerhalb der DDR begegnet?)
  • ROXION
  • Rogor 40 l
  • Danadim Progress
  • Lizetan (das gab es also auch mit Dimethoat)
 
Mit der Wende verschwinden viele Ost-Produkte von der Bildfläche. Bi58 gibt es weiter.
Das Produkt war offensichtlich auch für die Mitbewerber im Westen interessant. Bayer, BASF und aktuell Compo habe ich im Hinterkopf. Wer allerdings zu wem gehört – das wird schnell unübersichtlich, der letzte Hersteller war Compo, Markeninhaber ist die BASF.
Bei der Recherche im Netz fallen mir flapsige Seitenhiebe auf. Pauschal schreibt die „Welt“ über die Hochkonjunktur der Gifte aus dem Gartenmarkt: „Vor allem im Osten wird gern gründlich gearbeitet.“ Und „„Bi“ steht für Bitterfeld – und für Tod und Verderben.“ Ich dachte, die Phase solcher subtil-manipulativer Ost/West Äußerungen hätten wir inzwischen hinter uns gelassen. Zumal das „Bi“ nur noch Namensrelikt ist, das Mittel ist seit vielen Jahren in Ludwigshafen, Leverkusen oder Münster zuhause.
 
Der nächste Satz: „Zwar sank die Konzentration des Wirkstoffs Dimethoat im Vergleich zu DDR-Zeiten auf einen Bruchteil“ ist für mich nicht nachvollziehbar – auch wenn dieser Mythos von Hobbygärtnern und von Gartenbauprofis gleichermaßen verbreitet wurde.
Die Wirkstoff-Konzentration liegt von Beginn an bei 380 g/l – und so bleibt es unverändert.
So steht es im ersten Pflanzenschutzmittelverzeichnis aus den 1960ern, in dem von 1978 und auch immer noch auf der aktuellen Packung.
Das hab ich fürs Foto mal nebeneinander gestellt.
Falls ich mit meinem Unverständnis falsch liege – ich freue mich immer über Aufklärung und Horizonterweiterung.  
 

CactusPodcast

Fragen

Ich habe zu dem Thema eine ganze Menge Fragen bekommen. Die wichtigsten sind hier zusammengefasst:
 
warum verschwinden Pflanzenschutzmittel wie Bi58 eigentlich vom Markt?
  • jedes Pflanzenschutzmittel wird vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zugelassen. Vorher macht das Umweltbundesamt noch eine Umweltrisikobewertung.
  • wenn dem Pflanzenschutzmittel, oder dem Wirkstoff die Zulassung entzogen wird, darf es nicht mehr verkauft und etwas später auch nicht mehr verwendet werden
  • die Gründe dafür können z. B. neue Erkenntnisse bei der Gefährdungsbeurteilung sein, in anderen Fällen können es auch politische Gründe sein, manchmal können sich die Entscheider auch nicht einigen – kennen wir beispielsweise vom Tauziehen um den Wirkstoff Glyphosat.
  • wenn ein Pflanzenschutzmittel vom Markt genommen wird dauert das meist Jahre. Bei anderen Mitteln kann das aber auch ganz schnell gehen. So wurden die meisten Neonicotinoide ganz fix vom Markt gefegt.
  • Die Zulassung für Bi58 ist am 31.7.2019 ausgelaufen. Danach durfte das Mittel noch bis zum 31.1.2020 verkauft werden und muß bis zum 30.6.2020 aufgebraucht werden.
  • als Grund für das Zulassungsende wird Zeitablauf angegeben – das kann z. B. bedeuten: der Hersteller hat keine Verlängerung der Zulassung beantragt
was benutzt Ihr jetzt statt Bi58?
  • wir haben schon immer Alternativen zu jedem Pflanzenschutzmittel im Einsatz, im Sommer sind in unseren Gewächshäusern die Marienkäferlarven und andere Nützlinge unterwegs – in der Zeit sind Pflanzenschutzmittel wie Bi58 ohnehin tabu
  • in der kalten Jahreszeit, wenn die Marienkäfer nicht mehr da sind gibt es z. B. das natürliche Neem-Öl oder Promanal
gibt es noch andere, oder natürliche Lösungen?
  • gibt es: die erste Lösung z. B. bei Befall mit Wollläusen hab ich in der Episode 1 erklärt – Spiritus
  • Öl-Präparate wie Promanal
  • Seifenpräparate wie Neudosan
  • Pyrethrum wird aus Chrysanthemen gewonnen > Spruzit
  • Vorsicht vor vermeintlichen Hausmitteln wie Nikotin, oder Bordeaux- oder Kupferkalkbrühe – die können richtig giftig sein, wenn man ein altes Rezept erwischt – und sind daneben auch nicht zulässig
was kommt als Ersatz für Bi58?
  • Grundsätzlich entscheidet das natürlich der Hersteller. Wenn der einen Grund hat, eine Verlängerung nicht zu beantragen (die Kosten dafür sind immens), dann macht er es nicht – und einen Ersatz wird er nur vorstellen, wenn ihm das lukrativ erscheint
  • Bi58 verschwindet, weil der Wirkstoff Dimethoat seine Zulassung verloren hat – und – Stand heute auch nicht mehr verlängert wird.
    Aber ich habe läuten hören, das es tatsächlich ein Nachfolgeprodukt geben soll – mit einem neuen Wirkstoff.
    Wenn das wirklich so kommt, dann sehe ich das ziemlich skeptisch. Das ist nicht zum ersten mal, dass ein Wirkstoff heimlich still und leise ausgetauscht wird und der Markename beibehalten. Ich gehe davon aus, das nur wenige Verbraucher so etwas auf den ersten Blick mitbekommen – und dann erst später das erwachen kommt – und dann werden da schnell die Rufe laut wie: „Betrug am Verbraucher“ oder „Verpackungsschwindel“ – und damit schadet sich ein Hersteller selbst und liefert Gründe für hartnäckige Mythen wie den nächsten:
    Denn – auch wenn viele Menschen anderes zu wissen glauben: bei Bi58 hat es eine solche Veränderung bislang nicht gegeben. Einzig die Hersteller und die beigefügten Warn-Duftstoffe haben ein paar mal gewechselt.
    Falls es wirklich einen Relaunch mit neuem Wirkstoff geben sollte, dann bin ich darauf schon sehr gespannt. 

 

Zusammenfassung:

Die ist heute kurz:
  • Bi58 darf nach dem 31. Januar 2020 nicht mehr verkauft werden.
  • Aufgebraucht werden darf der Vorrat noch – der Gesetzgeber erlaubt das bis zum 30.6.
  • Alternative Mittel und Methoden gibt es – z. B. Neem-Öl, oder die Spiritus-Methode
    genauer hab ich das in der Episode 2 erklärt

Was kommt denn als nächstes? 

Im nächsten CactusPodcast – Episode 005 – gibt es erstmal kein Pflanzenschutz-Thema – das reicht fürs erste. 
Was es genau wird? Ich habe mich noch nicht entschieden – aber auf meinem Zettel steht: „die grusonii Geschichte?“ 
 
Das war’s für heute. Mir hat es richtig Spaß gemacht – und ich freu mich natürlich über eine Rückmeldung. Entweder als Kommentar hier im Cactusblog – und ein bisschen kann ich das schon mal gucken lassen: für Eingeweihte gibt es eine FB geschlossene Gruppe – mehr dada will ich noch nicht zu viel verraten.
Ich freue mich über Fragen – und natürlich auch über Themenwünsche für die nächsten Episoden. Bis dahin bin ich auch ein bisschen schlauer in Sachen Podcasting – denn für mich gibt’s in den nächsten Tagen eine Weiterbildung – und darauf bin ich schon total neugierig!
In diesem Sinne: bleibt schön gesund und glücklich!
 
 
 
 

Shownotes 

Über den Autor

Kaktusgärtner bei Kakteen-Haage | Website | + posts

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Blogger seit 2005,

Kaktusgärtner aus Passion - seit 1970,

... in einer Familie von Kaktusgärtnern seit 1822

... und Gärtner in der Blumenstadt Erfurt seit 1685