Kaktusgärtnern in Zeiten von Corona – Episode 028
Wie sieht der Alltag aus beim Kaktusgärtner wenn draußen Corona um sich greift
Ich habe mir schon unzählige Male Gedanken gemacht – wie beginne ich diese Episode – und: ich hab ja schon erzählt – ich hab ordentlich Respekt davor – und auch jetzt bin ich immer noch verdammt neugierig, wie diese Aufnahme wird.
Auch wenn ich schon seit letztem Jahr an der Vorarbeit sitze – danach gefragt hat einmal mehr Frederik Wietbrok aus Hamburg in der CactusPodcast Community auf Facebook.
Was läuft gerade anders, wie sehe ich, wie sehen wir die Welt – sofern wir überhaupt noch was sehen – und ich erzähle davon ausgerechnet in der Phase, in der wir alle heimlich hoffen, dass dieser ganze Spuk endlich vorbei ist. Es geht heute um das Kaktusgärtnern in Zeiten von Corona.
CP028 - Kakteengeschichten - Kaktusgärtnern in Zeiten von Corona
Bevor es los geht
Bevor es richtig los geht noch ein paar Worte zu den letzten drei Episoden:
Sorry für die Tonqualität bei 25 und 26 – was bei 25 noch halbwegs ging – in Episode 26 ist die Aufnahme ziemlich für die Tonne – und da hat mein Schwager noch einiges an Rettungsarbeit geleistet.
Die letzte Episode 27 ist am Tag der offenen Tür gewissermaßen unter Drogeneinfluss entstanden.
Du kennst das bestimmt auch: wenn du einen ganzen Tag Vollgas gibst, dann merkt dein Kopf: Tank ist leer – aber der Motor läuft immer noch. Und genauso ging es mir auch. Und selbst einen Tag später war es noch ein bisschen so. Und dann kam der Montag – nein, der Sonntag Abend – die Vorbereitungen für die neue Arbeitswoche. Tun was dran ist.
Das ganze ist über acht Wochen her – so eine lange „Pause“ hatte ich noch nie. Umso mehr freue ich mich, dass DU heute wieder dabei bist.
Und – ich habe heute noch einen anderen Grund zur Freude: seit heute weiß ich vom ersten Familienmitglied unter den CactusPodcast-Zuhörern. Es ist natürlich möglich, dass es noch mehr gibt. Wenn ich jetzt hier in mein Mikro spreche – dann weiß ich nie, aus welchem Kopfhörer oder Lautsprecher am Ende meine Stimme tönt – aber darüber freue ich mich heute besonders. Leider sieht man nicht, wie sehr ich strahle – auch wenn es zum Teil an meinem Sonnenbrand von gestern hängt.
Tagebuch
Wenn du auf eine längere Geschichte zurück schaust, dann bekommst du früher oder später auch einen anderen Blick auf das hier heute. Du versuchst dir wichtige Momente zu merken. Und schärfst den Blick für die Dinge, die vielleicht in 50 oder 100 Jahren noch erinnerungswürdig sein könnten.
Warum? Ich arbeite nachts gerade an einem Buch über die Haage-Gärtner – und dafür lese ich alte Briefe und Akten, sichte Fotos und lerne unheimlich viel über die Geschichte unserer Familie, der Gärtner, über Facetten des Lebens und was es mit uns macht – und natürlich über Kakteen.
Ich lese Tagebücher. Zum Beispiel von meinem Großvater. Im zweiten Weltkrieg hat er notiert, wie die Glühbirnen wanderten. Und immer weniger wurden. Schuppen geht in Werkstatt, die aus dem Flur in den Arbeitsraum, im Gewächshaus sind alle Birnen über Nacht gestohlen worden.
Ich werde heute notieren wie mein Vertrauen in die Prognosen meiner Mitmenschen schwindet. Im letzten Jahr hab ich aufgeschrieben, wenn kluge Köpfe aus meinem Umfeld erklärt haben, wie das mit Corona so weitergeht. Einfach um so etwas wie Orientierung im Nebel zu haben. Denn: für mich war dass völlig unklar, was die Folgen von diesem Virus sein werden.
Heute sind die meisten Ideen weggewaschen von der Realität – wie eine Kleckerburg von den Wellen. Ich habe das „auf Sicht fahren“ schätzen gelernt. Man kann zwar keine großen Sprünge machen, aber auch keinen allzu großen Blödsinn verzapfen.
Deswegen ist diese Episode auch ein Stück mein Corona-Tagebuch – und dort schreibt man eben auch viele ganz persönliche Betrachtungen auf. Und das hat eben auch ganz schön mit Hose runterlassen zu tun.
Also frisch ans Werk!
Ausnahmezustand?
Erzähle ich dir irgendwas neues, wenn ich sage, dass im Moment bei uns in der Gärtnerei vieles anders läuft, als sonst? Nö, oder?
Irgendwie ist es doch gerade überall so. Und an vielen Stellen ist „anders“ noch gelinde gesagt eine Untertreibung.
Und: ich habe es klar auf dem Schirm, dass es auch Bereiche in unserem Leben gibt, in dem alles normal und in geordneten Bahnen läuft. Ich denke dabei auch ausdrücklich an Ärzte, die mir das erzählen – aber das wird nicht mein Thema sein.
Ich will mich auch nicht über die Frage nach der Existenz von Corona auslassen – obwohl ich es auch da sehr spannend finde, was sich da bei mir im Laufe des letzten Monate verändert hat – und eigentlich gehört auch genau das hier rein – mal schauen, wieviel Luft bleibt.
Leben in Extremen
Es ist ein Spagat, unser aller Leben gerade.
Da sind die Menschen in meinem Umfeld, die haben mit dem Beginn des ersten Lockdown ihre Existenz zugesperrt. Eine Freundin hatte sich ganz frisch als Traurednerin selbständig gemacht. Und sämtliche Hochzeiten wurden im März letzten Jahres storniert, oder in das Jahr 2021 verschoben.
Oder unsere Partner in Crime beim Kakteenessen. Noch während wir im zeitigen Frühjahr 2020 in der Küche standen, gekocht und am neuen Menü gefeilt haben, waren Köche dabei, die Kühlhäuser auf Dauerbetrieb umzustellen, die Küche auf Stand-by zu bringen und als wir fertig waren wurde alles versiegelt und die komplette Mannschaft ging bis auf weiteres nach Hause. Zukunft ungewiss. Das war richtig gruselig. Als ich nach Hause fuhr, habe ich überlegt, wie das gehen sollte, wenn unsere Gärtnerei dicht gemacht würde. Ein Konzept dafür habe ich bis heute nicht in der Schublade.
Bräuchte ich gottlob auch nicht. Das Leben fragt im Ernstfall eh nie nach deinem Konzept, oder?
Wenn Ich auf meine Arbeit schaue, dann sieht es genau umgekehrt aus.
Einerseits bin ich seit mehr als anderthalb Jahren auf Anschlag im Job.
Work – sleep – repeat.
Um ehrlich zu sein: nicht mal meine work-sleep-balance stimmt. Ich hab mir vor einem Jahr extra so eine Uhr gekauft, die auf meinen Schlaf aufpassen kann – in der irrigen Annahme, die Uhr würde das Problem lösen. Aber sie macht nicht mehr, als das Problem sichtbar.
Und da ist sie großzügig. Wenn meine Frau ab 22-23 Uhr den Rechner ausmacht, nach Hause geht und ich alleine bin, werde ich offenbar so ruhig, dass die Uhr glaubt, ich würde schlafen.
Immerhin gut für die Schlafbilanz – wenigstens theoretisch…
Und die andere Seite: Ich kann ackern soviel wie ich will – am Ende des Tages bleibt das Gefühl: der Berg dessen, was zu tun ist, ist mehr geworden, nicht weniger.
Dankbarkeit statt klagen
Das mag vielleicht klingen, als würde ich mich beklagen – so ist es aber ganz sicher nicht!
Ich bin so dankbar, dass meine Familie und meine Mannschaft bis heute gesund an Leib und Seele durch die Zeit gekommen sind und dass wir arbeiten konnten.
Und dass so viele neue Menschen ihre Liebe zu den Kakteen entdeckt, oder wiederentdeckt haben und wir mehr zu tun hatten, als wir schaffen könnten – aber dazu später.
Gesund an Leib und Seele
Wir waren und sind ziemlich lange eingesperrt, wir hocken alle auf einem Fleck. Ich hab extra mal mein Bewegungsprofil angeschaut: ich habe in diesem Jahr Erfurt und die Cactusfarm ganze dreimal verlassen. Ich habe Pflanzen vom Flughafen in Frankfurt abgeholt, war beim Zahnarzt und habe einen guten Freund beerdigt.
Das Leben läuft ruhiger, ich merke das.
Mein Auto freut sich, in den letzten zwei Jahren ist die Kilometerleistung um 90 % gesunken.
Was auch gesunken ist, das ist meine Sehleistung. Früher konnte ich die Autobahnwegweiser gefühlt aus zwei Kilometer Entfernung lesen, inzwischen knipse ich das Licht an, wenn ich einen Auftrag lese – und manchmal reicht auch das nicht. Ich habe mir vorgenommen, ein wenig Zeit zu haben, um meine Augen zu entspannen und zu trainieren.
Und ich möchte gern Zeit mit meiner Frau, meinen Kindern, meiner Familie verbringen. Ich weiß, ich muss nur eine Entscheidung treffen.
Mein Vater saniert gerade eins unserer Gewächshäuser. Er hat es vor knapp 50 Jahren gebaut und turnt jetzt wieder auf dem Dach umher.
Mein Vater ist diese Woche 79 geworden.
Meine Eltern, meine Schwestern, die sind im Grunde immer da gewesen. Selbstverständlich, oder? Nein. Irgendwann werden sie sterben, so wie wir alle, so wie ich auch. Eigentlich spielt die Ursache dafür keine Rolle. Denn im Grunde kommt der Tod doch immer ungelegen. Und im Grunde hatten wir nie genügend Zeit, mit dem Menschen, der gerade gestorben ist. Und das ist genau die Entscheidung vor der ich heute – und jeden anderen Tag stehe. Arbeite ich, oder verbringe ich mal Zeit mit der Familie.
Ich habe das große Glück, dass ich auf Rückhalt in meiner Familie bauen kann – ich stehe nicht alleine, sondern finde Unterstützung – und das ist ziemlich genial!
Dieser Rückhalt, das füreinander einstehen, das hilft eigentlich so ziemlich in jeder Situation – und es ist nicht auf die Familie begrenzt – immer wieder finde ich genau diese Haltung auch in meinem Team.
Und wir brauchen das auch. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das anders funktionieren sollte. Denn es ist nicht so, dass immer alles easy und gelassen läuft. Manchmal liegen die Nerven blank – bei mir oder bei anderen, und dann bin ich froh, wenn da jemand ist, der mich wieder von meiner Palme holt.
Begeisterung brummt
Warum das so kommt? Es brummt – anders kann ich es nicht beschreiben. Wir laufen seit zwei Jahren im Galopp – und kommen doch nicht hinterher. Corona hat da eher noch ein paar Kohlen draufgelegt. Wir haben neue Mitarbeiter, die uns unterstützen – und dennoch „leben wir von der Hand in den Mund“ wie es mein Kollege Heiko Beck auf den Punkt bringt. Und er muss es wissen – er hat den gesamten Zubehörsektor und das Verpackungsmaterial unter seiner Hand. Er muss sich echt drehen. Ich manchmal auch, wenn er nicht da ist. Zum Beispiel als im März die letzte Palette mit unseren Erdbox-Kartons alle war und es im Umkreis von 350 Kilometern partout nichts ähnliches zu kaufen gab. Da bin ich losgefahren und habe irgendwelche Kartons ersteigert, damit wir die Erde nicht im BigBag verschicken müssen.
Wir haben seit einem Jahr die meisten GoogleAds abgeschaltet, um die zusätzlichen Aufträge, die über die Anzeigen kamen, zu reduzieren. Und wir verhalten uns auch sonst recht still. Unternehmerisch ist das zwar eher blöd. Im Sinne unserer Kunden und der langfristigen Zufriedenheit ist es die richtige Entscheidung. Denn ganz ehrlich – wer hat schon Freude, einen Monat auf seine Bestellung zu warten? Ich jedenfalls nicht. Du vielleicht?
Deswegen legen wir uns ins Zeug, um alle Bestellungen so schnell wie möglich auf die Postkutsche zu bekommen. Unseren Postkutscher bringen wir auch regelmäßig zur Verzweiflung. An manchen Tagen stehen bei uns mehr Container auf der Rampe, als auf seinen Laster passen und dann wird er hektisch. Und wir schauen, wir wir ihm helfen können. Das scheint aber auch nicht der Standard zu sein – so hat er wenigstens reagiert. Ich weiß, wenn er seinen Job nicht schafft, dann bleiben unsere Pakete stecken – und blöd ist es außerdem für ihn. Und das tut ja nicht not.
Wenn es eng wird, dann tendieren wir Menschen häufig dazu, nur noch auf unseren Nabel zu schauen. Davon wird die Welt aber hässlich und kalt. Deswegen versuchen wir nach links und rechts zu schauen. Nur ein bisschen, dort mal einspringen, wo eine Hand gebraucht wird. Ohne großes Tam Tam. Das tut anderen genauso gut wie mir.
Und uns geht es ja schon gut.
Unsere Kunden rennen uns die Bude ein – das geht aber vielen Gärtnern so. Klar gibt es Engpässe aller Art – Erden, Pflanzenschutzmittel, Baumaterial, Transportvolumen, Verpackungsmaterial, Wartungskapazitäten – egal wo du hinschaust – es ist eng.
Auch unsere Pflanzenbestände sind an manchen Stellen dünn und zwar schon länger. Aber wir haben Glück, wir haben immer noch ein paar Sahnestückchen, die wir aus den Gewächshäusern zaubern können. Aber es gibt natürlich auch Bereiche, in denen wir echt abgebrannt sind.
Unsere Corona-Renner:
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Hoya
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Blattkakteen (hier erleben auch die Arten gerade einen massiven Aufschwung)
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Aeonium
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Echevieria
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winterharte Kakteen
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Kakteenerde
Kakteenerde war ja im vergangenen Jahr schon mal ein heißes Eisen. Da waren unsere Vorräte alle und unser Lieferant hat uns von Woche zu Woche vertröstet. In diesem Jahr haben wir vorgesorgt – und wir haben trotzdem zu spüren bekommen, was auf dem Markt gerade so abgeht. Deswegen haben wir uns noch weiter eingedeckt – und haben im Moment nur einen halben Parkplatz.
Aber was für ein Luxus – die Möglichkeit, Zuschlagstoffe oder Töpfe oder Verpackungsmaterial als mehrjährigen Vorrat kaufen zu können – das ist für mich sowas von beruhigend!
Auftragsstau und nur noch große Säcke!
Aber die Schattenseite: fast alle unsere Substrat-Lieferanten haben uns jetzt erklärt: „bis auf weiteres gibt es keine 5 Liter Säcke mehr. Der Aufwand ist zu groß, es gibt einen Auftragsstau und die Nachfrage kann ohnehin schon nicht gedeckt werden“.
Ergo machen wir uns jetzt Gedanken, wie wir die Erde selbst in 5 Liter Säcke abfüllen können. Oder hast du noch Platz für zwei, drei Kubikmeter Kakteenerde in der Garage?
Auftragsstau? Haben wir auch. Bis vor kurzem hat es sogar mehr als einem Monat gedauert, bis die Pflanzen im Paket auf die Reise gegangen sind. Das entspannt sich jetzt langsam wieder – und gottlob waren 98 % unserer Kunden sehr geduldig und versuchen bei denen, wo es brennt, möglich zu machen was drin ist.
All dass bekommen wir gewuppt, weil wir als Team klaglos laufen. Alle.
Und es war auch einer der Gründe weswegen die Gärtnerei geschlossen war. Denn wenn in der Situation einer aus der Mannschaft umfällt, dann laufen wir Gefahr, dass alles zusammenbricht.
Das ist ein heftiger Grenzgang. Ich versuche, voran zu gehen und meinen Leuten das Leben so leicht wie möglich zu machen, springe ein, wo ich helfen kann. Ich arbeite viel, meist endet mein Tag erst um 2 oder 3 Uhr nachts. Aber so schaffen wir diese Herausforderung ohne große Ausfälle. Denn das ist die Frage, die mich umtreibt: Wie kann ich mit meiner Mannschaft dafür sorgen, dass unsere Kunden trotz aller Warterei am Ende happy sind?
Es hilft nicht, wenn ich meiner Mannschaft Stress mache. Ich bin mittlerweile auch für das Gegenteil verantwortlich. Denn die Idee mittlerweile schon nachts um Drei die ersten Pakete zu packen, die ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Aber ich bin derjenige, der bis tief in die Nacht arbeitet. Lange hab ich geglaubt, das bekommt keiner mit. War aber ein Irrtum. Jetzt lerne ich: „zuviel des Guten ist am Ende einfach immer noch zu viel“. Und ich mache mir echt Sorgen, dass einer von uns mal umfällt.
Und bei aller Kakteenliebe – das ist nicht das Ziel.
Was machen wir?
Ist das zu viel Weihrauch aufs eigene Konto?
Für mein Team? Nein! Da kann ich ganz gut einschätzen, wie die – jeder an seinem Platz sich den Popo aufgerissen haben in den vergangenen Monaten.
Für mich? Vielleicht. Darüber können andere besser urteilen.
Ich erzähle eine kleine Nachtgeschichte: letzte Woche hab ich kurz vor 1:00 Uhr noch ein Bündel Aufträge im Versand gefunden. Also den Rechnungsrechner wieder angeschmissen und noch schnell die Rechnungen geschrieben. Dann macht mein Kollege, der in zwei Stunden um kurz nach drei kommt schon die ersten zwei Postcontainer voll und die Ladezone ist morgens frei, wenn alle kommen. Und auch für meine Frau startet der Tag mit weniger Stress. Und dann hab ich sie alle vor Augen gehabt. Jeden einzelnen, wie er an seinem Platz dafür Sorge trägt, damit unsere Arbeit gut abgeliefert wird. Und ich hatte so ein schönes warmes Gefühl in der Brust. Das beste was man haben kann zum zufriedenen einschlafen.
Den Zustand habe ich beileibe nicht immer. Ich komme eigentlich aus einer anderen Zone. Wie oft habe ich im Winter nachts nicht schlafen können, weil es mit dem Geld knapp wurde – Gas bezahlen und Löhne überweisen – haben wir immer geschafft – aber mehr als einmal ist mein sparsamer Vater in die Bresche gesprungen und hat finanziell ausgeholfen, wenn wichtige Dinge nicht mehr bezahlt werden konnten.
Klingt voll blöd – und das ist zum Glück auch schon länger nicht mehr der Fall – aber vergessen mag ich es deswegen nicht. Denn auch das ist Rückhalt durch meine Familie und ich bin dankbar dafür.
Und ich habe besonders dann, wenn mir das „es läuft gut“ bewusst wird auch die Menschen vor Augen, denen jetzt die Decke auf den Kopf fällt, die keine Aufträge haben, die ihren geliebten Job aufgeben mussten, den Laden zu machen, kein Geld verdienen können, keinen Sinn im Leben finden.
Dann bin ich froh, alle Hände voll zu tun zu haben und gemeinsam mit meiner Mannschaft und meiner Familie etwas bewegen zu können. An manchen Stellen konnten wir Menschen unterstützen – auch wenn es vielleicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen sein mag.
Ich hoffe, ich habe hier nicht zu dick aufgetragen, wenn dem so sein sollte, dann liegt es bestimmt an meinen abgestumpften Sensoren.
Meine Frau sagt: einige meiner Hirnzellen sind einfach mal auf Notaus gegangen.
Manchmal wundere ich mich, dass ich überhaupt noch was halbwegs kreatives auf die Beine stelle.
Und das ist aktuell mehr denn je gefordert. Denn es ist echt viel los.
Erfurt ist im Fokus. Kakteen auch.
Deswegen passieren bei uns immer wieder spannende Sachen.
Die Presse hat uns ein bisschen entdeckt. Das letzte telefonische Interview habe ich im wahrsten Wortsinn zwischen Tür und Angel im Auto auf dem Weg zu unserem Holzhändler geführt.
Und dann sind wir ja auch noch BUGA. Ich gebe zu, ich versuche das Thema heute ein wenig zu umschiffen, geht aber nicht ganz. Als nächstes mache ich dort ein Führungstraining, damit ich auch Führungen auf der BUGA machen kann. Über meine Lieblingsorte in Erfurt / auf der BUGA durfte ich mich auch schon mehrfach ausbreiten. Zuletzt hatte ich eine Begegnung auf der BUGA, die muss ich noch ein bisschen sacken lassen. Mit unserem Bundespräsident. Das braucht noch ein bisschen bei mir. Und BUGA wird voraussichtlich Thema für die nächste Episode.
Jetzt erzähle ich noch von unserer Boho-Hochzeit. Ich gestehe – ich hatte ja nicht mal einen Schimmer, was das überhaupt ist.
Vor einigen Wochen war jedenfalls unser Gewächshaus belagert – die Anfrage im Vorfeld klang ganz easy. „Können wir bei euch ein Hochzeitsshooting im Gewächshaus machen?“ Klar – ist ja nicht das erste mal. Und dann am Sonntag wanderten riesige Korbsessel, Pfauenfedern, Tische und Stühle ins Gewächshaus. Und ein Brautpaar, also Models. Dazu Floristen, Fotografen, eine Hochzeitsrednerin, Kameramänner, Sekt und eine echte Hochzeitstorte. Wobei – die musste erst noch im Kühlen warten. Im Gewächshaus wurde eine Hochzeit inszeniert. Toll, zu Herzen gehend – und es sind wunderbare Bilder entstanden. Was mich dabei aber bewegt hat: die Verbindungen, die dabei entstanden sind.
Da sind Leute zusammengekommen, die den Kopf nicht in den Sand stecken, die sich gemeinsam engagieren und sagen: wir sind nicht einfach gegen irgendwas, oder fühlen uns von der Regierung oder sonst wem vergessen. Sie packen an und versuchen neue Wege zu gehen.
Daraus spricht für mich die Zuversicht, dass unsere Welt besser wird, diese Krise bringt uns vielleicht in Bedrängnis, aber sie hat auch das Zeug Neues und Besseres hervorzubringen als vorher da war.
Und ich will damit nicht sagen, dass jemand, der sowas gerade nicht macht, den Kopf in den Sand stecken würde! Dafür sind die Menschen und die Situationen, in denen sich jeder befindet einfach viel zu verschieden.
Durch eine andere Trau-Rednerin habe ich viel Unterstützung erfahren – sie hat mir bei vielen Texten zur Seite gestanden – auch, weil ihr normaler Job im Moment eben „nicht stattfindet“ – dafür auch hier ein dickes DANKE, liebe Franzi!
Wie gehe ich ganz persönlich mit Corona um?
Mein erster Kontakt war Ende Januar 2020. Die Presse berichtete von Toten in China, die sich mit einem Virus angesteckt hatten. Und ich hatte eine Sendung aus China beim Zoll liegen. Ich habe mir praktische Gedanken gemacht, habe versucht herauszufinden, wie die Übertragung stattfindet, aber damals gab es noch kaum verlässliche Informationen. Dafür explodierten die Infektionszahlen. Und sehr bald, keine vier Wochen später, saßen wir auch in Deutschland im ersten Lockdown. Ich war am Niederrhein und zuhause wird deine Gärtnerei zugemacht. Aber wir durften weiterarbeiten. Trotzdem war der Anfang auch für uns beängstigend. Wie alles was Ungewissheit mitbringt. Heute schauen wir auf das alles schon sehr abgeklärt. Obwohl ich immer noch nicht genau weiß, wo werden wir in einem Jahr stehen. Gibt es ein 200. Jubiläum von Kakteen-Haage, Kakteenessen? Mit Gewissheit weiß heute niemand etwas.
Und dabei hilft mir die Arbeit sehr. Wenn ich arbeite, dann höre ich nicht das Getöse da draußen, auch nicht den Widerstreit der Meinungen. Ich muß mich nicht entscheiden, was ich glauben will und was nicht. Eigentlich. Aber in Wahrheit ist es nur ein Aufschieben und in Deckung gehen. Vielleicht wirke ich so – aber die Welt geht mir mitnichten „am Popo vorbei“. Die Frage: „was will ich glauben“, die kostet mich echt Kraft. Die Welt ist eben nicht mehr einfach „Corona gibt’s gar nicht.“ oder das Gegenteil davon. Und die Frage heißt doch meistens: „wie gehen wir gut damit um?“ Kein Mensch sagt immer nur die Wahrheit – da schließe ich mich ausdrücklich ein – egal ob unbewusst, oder mit Vorsatz. Das, was ich beobachte, ist: es gibt im Moment viele Menschen, die in Gewissensnot kommen, die von der Corona-Situation betroffen sind – und das hat weitaus mehr Facetten als „ich bin positiv“ oder negativ, oder geimpft, oder noch nicht“. Denn es geht nicht nur um „mich“, sehr oft geht es im selben Moment auch „um uns“. Eine Mutter; ein Vater wird immer für die Kinder, die Familie mitdenken, ein Lehrer für die ganze Klasse, ich habe meine Mitarbeiter und ihre Familien und ebenso unsere Kunden und Lieferanten im Blick. Je mehr Menschen und damit auch einzelne Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen sind, desto komplexer und komplizierter wird der ganze Kasten. Das ist einer der Gründe, weswegen ich niemanden in der Politik beneide, denn das ist Flohzirkus und Minenfeld in einem.
Da sind wir bei Kakteen-Haage in verschiedener Hinsicht in glücklicherer Lage. Wir haben Arbeit, wir haben viele Menschen, denen wir mit unseren Pflanzen etwas Gutes tun – wir können etwas verkaufen, wir können leben.
Anders als in anderen Branchen, in der Gastronomie zum Beispiel galt lange: wer kein To go anbieten kann, der ist aufgeschmissen. Hotel to go hat auch noch keiner erfunden. Oder Hochzeit to go? Fehlanzeige. Na gut, das legendäre „drive up“ Standesamt in Las Vegas kommt da schon hin.
Wie wäre das als Gärtner? Ist es ein Unterschied, wenn ich mir Sorgen machen muss um die Existenz meiner Mitarbeiter, meiner Kunden oder auch meiner Familie, wenn der Gesetzgeber die Gärtnerei schließt? Sehr viele meiner Gärtnerkollegen standen im Frühjahr vor dieser bangen Frage. Die Gärtnerei war geschlossen. Die Pflanzen wuchsen und es war unklar: wird überhaupt ein Kunde in mein Gewächshaus kommen dürfen? Da steigt dir das Wasser langsam zum Hals. Und dann werden Hilfspakete relevant, du überlegst, kann ich meine Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken – oder muss ich ganz schließen? Wir hatten bislang das Glück, dass uns nichts davon ereilt hat. Wir konnten arbeiten, selbst als die Gärtnerei geschlossen war. Das, was uns beschäftigt hat – ja – für uns Probleme, aber wenn ich raus in die Welt schaue ist das nichts kritisches. Da gibt es weiß Gott wichtigere Probleme zu bewältigen.
Und Kakteen – was ist mit Kakteen?
Welche Rolle spielen Kakteen und andere Pflanzen unter Corona. Ein winzig kleiner Exkurs ist einfach notwendig.
Pflanzen, Garten, Grün, Natur – und auch Kakteen sind seit dem ersten Lockdown schlagartig in den Fokus gerutscht. Das betrifft den gesamten Gartenbau, die Kleingartenanlagen, die Baumärkte und Gartencenter – Natur und Grün ist für die meisten Menschen ein Ausweg aus dem Eingesperrt sein in den eigenen vier Wänden und es ist eine Alternative zu reisen, das im Moment nicht möglich ist. Grün lässt die Seele wieder abklingen. Das geht mir übrigens nicht anders. Wenn es mir zu viel wird, dann gehe ich ins Gewächshaus und rede mit meinen Kakteen. Ganz einfach.
Und vielleicht noch ein tröstlicher Fakt zum Ende – ich muss ja langsam aufhören:
Mir ist noch kein Fall zu Ohren gekommen, dass eine Pflanze Corona übertragen hätte – musste mal gesagt werden!
Aber der Begriff Corona spielt bei uns in der Gärtnerei schon seit über 20 Jahren eine Rolle. Der Kreisbogen an den Blüten von Hoya auf anderen Asclepiadaceae wird als Corona, oder Krone bezeichnet. Und Hoya laden ohnehin zum ganz genauen hinsehen ein. Lohnt sich auch!
bist du beim nächsten Mal mit dabei?
Ich hoffe inständig, dass diese Episode
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in der es fast gar nicht um Kakteen geht und
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in der ich viele Gedanken gleich mehrfach hin- und wieder zurück gewälzt habe
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ich mit Selbstbeweihräucherung nicht gerade sparsam war
dir ein paar interessante Gedanken mitgebracht hat. Ich hoffe, du konntest mir halbwegs folgen – und folgst mir auch weiter hier im CactusPodcast.
Ich gebe zu, hinter den Kulissen und neben meinem Mikrofon gibt es ein Novum – ich weiß nicht mal, ob sowas überhaupt kanonisch ist: diese Episode ist tatsächlich unter Drogeneinfluss entstanden: hier steht ein fast leeres Glas Rotwein.
Ob das damit besser oder schlechter gelaufen ist – das kannst nur du beurteilen. Lass mich mal wissen, ob Rotwein der Podcast-Qualität zuträglich ist.
Shownotes:
… gibt es diesmal nicht – denn hier sind keine Links, auf die ich verwiesen habe …
… und trotzdem freu ich mich wie immer auf dein Feedback.
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deine Bewertung auf iTunes – das wäre mir ein inneres Maximal-Blümchenpflücken!
Was kommt als Nächstes?
Der CactusPodcast kehrt zurück – voraussichtlich mit dem Thema Bundesgartenschau in Erfurt. Ich lege dir aber ans Herz: komm einfach nach Erfurt und schau dir die BUGA an – sobald es geht. Den Mund kann ich dir auch später noch wässrig machen.
Deswegen: schau in der CactusPodcast Community auf Facebook vorbei.
- Seit wenigen Wochen läuft die Bundesgartenschau in Erfurt – und es ist alles andere, als normal. Es gibt eine ganze Menge zu erzählen – was so hinter den Kulissen passiert und was wir so alles erlebt haben. Bei der Gelegenheit werde ich dir das Buch zur BUGA von Herrn Stade vorstellen. Und BUGA – da hab ich schon viele Ideen!
Stay tuned!
Schöne Grüße aus der Blumenstadt Erfurt – morgen soll es heiß werden!
Bleib gesund.
Ich bin Ulrich Haage und schicke Grüße aus der Kakteengärtnerei.
Mehr gibt es wie immer in der Facebook CactusPodcast Community.
Welche Themen soll ich mir in den kommenden Episoden vornehmen?
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Auch diesmal habe ich mir wieder viel Mühe gegeben, die Shownotes mit noch mehr Informationen zu ergänzen.
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Interviews im CactusPodcast:
- CP005 – Emily Cox – Mrs Echeveria
- CP012 – Lothar Bodingbauer über Kakteenerde – Teil 1
- CP013 – Lothar Bodingbauer über Kakteenerde – Teil 2
- CP021 – Georg Schwarz über Kunststofftöpfe für Kakteen
- CP023 – Melanie Öhlenbach fragt zum Thema Aloe vera
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Über den Autor
im Podcast seit 2019
Blogger seit 2005,
Kaktusgärtner aus Passion - seit 1970,
... in einer Familie von Kaktusgärtnern seit 1822
... und Gärtner in der Blumenstadt Erfurt seit 1685
Hallo Andreas,
Danke für Deine Rückmeldung.
Stimmt, die Kakteen sind in der Episode ein bisschen kurz gekommen. Das ist auch im Kaktusgärtner Alltag manchmal so. Wenn ich genau hinschaue, die Tage, an denen ich nicht dazu komme, einen Fuß ins Kakteenhaus zu setzen, die sind häufiger als mir lieb ist.
Und gut durchgekommen – ja, dieser Wunsch ist uns bislang erfüllt worden – und das lag jetzt nicht an Drogen 😉
Ich drück Dir die Daumen, dass es mit den Blüten noch klappt!
Schöne Grüße nach Schwerin!
Ulrich
Hallo Ulrich, ich bleibe mal beim Du, so wie Du uns in deinem Podcast auch ansprichst.
Vielen Dank für diesen doch sehr persönlichen Beitrag! Auch wenn ich mir primär etwas mehr über Kakteen gewünscht hatte, bin ich bis zum Schluß bei Dir geblieben. Denn diese privaten Geschichten und Ansichten geben doch erst ein stimmiges Gesamtbild einer Firma, aber auch eines Menschen, der dahinter steht.
Ich hoffe und wünsche, dass Du, Deine Familie und Mitarbeiter auch weiterhin gut durch diese schwere Zeiten kommen und uns als Kunden mit so tollen Pflanzen beliefern könnt.
Die Droge tat dem Podcast gut! 😉
Kleiner Nachtrag: Im Winter habe ich bei einem deiner Gewinnspiele eine gelbblühende Echinopsis gewonnen – sie hat sich gut in Schwerin eingelebt und bereits Blütenansätze gebildet, die, so das Wetter mitspielt, auch diesen Sommer noch aufgehen werden.
Liebe Grüße
Andreas