Die wunderbare Reise des Herrn Maria – Episode 036

Ulrich Haage liest ein philosophisches Kakteenbuch und erlebt einiges dabei.

Herzlich willkommen zum CactusPodcast Episode 036 – Thema ist Herr Maria – und seine seltsame, nein wunderbare Reise. 
Das ist die erste Podcast-Episode, die es gleich auf mehreren Kanälen gibt – sowohl als Audio, als auch auf Video. Das ist sozusagen der erste Video-Cast. Deswegen hier auch ein kurzer Shoutout an Gordon Schönwälder von den Podcasthelden, der zum Teil Schuld an dieser Idee war. 
Die Episode wurde draußen im Weinberg aufgenommen, deswegen ist der Ton ein bisschen ungewohnt.

Wer ist Herr Maria – und warum eigentlich?

Ich bin heute nicht zu Hause und das ist gut so.
Denn sonst habe ich viel zu selten Zeit, etwas so Wertvolles zu machen: ein Buch zu lesen. Und dazu noch ein so besonderes.
Es geht also um Herrn Maria, der sich auf eine Reise begibt – und es ist ein sehr besonderes Buch. Ein philosophisches.
Und das macht es für mich in der Rezension etwas anspruchsvoll, fast hätte ich schon Abstand genommen von der Idee, etwas darüber zu erzählen. Denn eigentlich sollte ich als Rezensent wenigstens annähernd die Gedankenwelt des Autors streifen können. Kann ich aber nicht, denn der Autor ist mir darin um Meilen voraus.
Also erzähle ich einfach, was mich bewegt und daran erfreut.
 
Es beginnt mit einer erfreuten Frau, mit der ich im Urlaub bin. Meine Frau – ganz ressorttechnisch gesprochen.
Und wenn sie im Urlaub gut unterhalten ist, dann tut mir das auch sehr gut, vervielfältigt das Erholungspotenzial quasi.
 
Immer wieder liest sie mir kurze Geschichten aus ihrem Buch vor – und ich verlasse Italien und meine eigene Lektüre über die Untiefen des Lebens heute in Südafrika, oder die Mechanik des Zusammenhalts in einem Team.
Ich erlebe die Erlebnisse eines Jungen, der in den 1920ern nächtens einem König begegnet. Ein kleines Sandkorn in der großen Weltgeschichte.
Ich höre zu bei den Erfahrungen in Sachen Kaufmannsehre und denke über die ehrlichen Kaufleute nach. 
 
Dann schnappe ich mir das Buch und lese selbst.
Ich begleite Herrn Maria regelmäßig ins Dachstübchen, dort wo er Ruhe und Freude bei seinen Pflanzen findet. Das ist ein Thema, dass mich auch seit längerem beschäftigt.
Dass Pflanzen, die intensive Beschäftigung mit ihnen uns beruhigen, entschleunigen, uns insgesamt guttun, ohne etwas tun zu müssen. Aber das ist nur meine Beobachtung am Rande. 

CP036 Kaktusbücher - Die wunderbare Reise des Herrn Maria

von Ulrich Haage | CactusPodcast - Kaktusbücher

Herr Maria, Pflanzen und der Tod

Pflanzen – Herr Maria ist ein Pflanzenliebhaber. 
Und er ist Philosoph. Ich hab da so meine Berührungsängste. Denn Philosophen – ich habe einige in meinem Leben kennenlernen dürfen – sind immer ganz besondere Menschen – und ich verbinde mit ihnen im besonderen Maße das Gefühl, sie würden in einer anderen Welt leben, wie in einer Seifenblase, einer anderen als meiner. Wie das entstanden ist, das könnte ich gelegentlich mal ergründen, das ist mir momentan nicht so wichtig. Und ich weiß, das sagt viel mehr über mich aus, als über Philosophen. 
 
Deswegen ist das andere auch verbindender: die Pflanzen. Herr Maria ist Kakteen – nein, er ist Sukkulentensammler und er tut dies mit der dazu nötigen Ernsthaftigkeit. 
Eigentlich sogar weitaus mehr. Er tut es in einer Weise, die sich mit einem Glas nicht messen lässt, denn ein Glas wäre in meinen Augen längst voll – und übergelaufenes lässt sich so schlecht bewerten.
 
Herr Maria pflegt seine meist unbedornten Sukkulenten im verglasten Dachstübchen und ich freue mich über den Anfang der Geschichte. 
Denn noch bevor diese beginnt, gibt es etwas, was ich an Büchern sehr schätze: eine Gebrauchsanweisung. Die nimmt mich als Leser mit und die Angst – denn der Autor erklärt mir, wie es geht, setzt mich sozusagen neben sich auf den Stuhl und ich schaue in dieselbe Richtung wie er. Ich soll das Buch lesen, wie man heißen Tee trinkt – so entfalte sich der ganze Gehalt. Und so mache ich das auch – schluckweise, ohne mir die Zunge zu verbrennen. 
Apropos mitnehmen: Philosophie klingt gemeinhin ein bisschen dröge. Dem schiebt Herr Maria aber sofort einen Riegel vor. Das Buch beginnt eher wie ein Krimi, im ersten Satz wird die Bühne für alles Folgende gebaut. 
 
Herr Maria kehrt just von einer Reise aus dem malaiischen Archipel zurück, als ihn ein schicksalhafter Anruf ereilt, der die Handlung für das gesamte Buch auslöst und ihn als Philosoph in neue Sphären vordringen lässt. 
Wie so oft im Leben: 
Herr Maria, noch den Rucksack in der Hand, der wie er selbst noch die Dämpfe der fernen Orte atmet und erfüllt ist von den Eindrücken der Reise, sein friedliches Ankommen zu Hause wird jäh gestoppt vom Telefon.
Sein Weiterleben wird vom Inhalt des Anrufes vollständig verändert – und doch setzt er alle Hebel in Bewegung, um sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken.
Welche Leitplanken uns dabei mitunter helfen können, beobachtet Herr Maria aufmerksam, anderes zeigt er mir, dem Leser beiläufig: Debrecziner Würstchen mit englischem Senf, oder nicht mehr stinkende Blüten von Edithcolea. 
Die unmittelbare Beschäftigung mit dem Tod, sich damit auseinander zu setzen sieht er sich nun gezwungen. Wegen des Anrufs. 
Nicht alters halber. Aus anderen Gründen. 
„Der Tod ist der Wegweiser der Philosophie.“ denkt Herr Maria und lässt mich kurz darüber kichern. 
Dann wird mir bewusst – so denkt nur der Narr, der sich in Sicherheit wähnt. Doch wer ist, wann schon sicher vor dem Tod? 
War ich nicht gerade selbst kurz auf Kurs? So schnell vergesse ich?
Herr Maria leitet mich auf den Weg der Besinnung. Er – und auch ich schauen auf das Leben, seinen Wert und die Bedeutung für uns.
Herr Maria sucht sich dazu einen professionellen Philosophen. Und ich gehe einfach mit ihm. 
Er bleibt allein in seiner Wohnung, allein, aber er erscheint mir nicht einsam.
Er ist begleitet.
Und ich als Leser beobachte.
CactusPodcast - 036 Kaktusbücher - Die wunderbare Reise des Herrn Maria

„Verwelkte Kakteen“ – geht sowas?

Ich gebe zu, der Philosoph, mit dem Herr Maria sich alsbald regelmäßig in schriftliche Zwiesprache begibt, er ist mir etwas suspekt. 
Es beginnt mit dem Bild der „welken Kakteen“ – die er in seinem ersten Satz erwähnt – und dass Herr Maria dies wortlos duldet.
Allein, einem Philosophen muss man diese Übertreibung wohl nachsehen, auch wenn ich eigentlich keine inhaltliche Begründung dafür in seinen Gedanken finden kann. 
Die anfänglich allzu wortreichen Erwägungen unter Hinzunahme von Platon und anderen sokratschen Schülern, sie wirken auf mich so sehr bemüht und allzu geflissentlich. Aber sie zeichnen dem klaren und präzisen Geist von Herrn Maria mühelos eine umso präzisere Kontur.
Zwischendurch freue ich mich über offenbar gemeinsame Bekannte, von Herrn Maria und mir.
Es beginnt mit einer Sansevieria pinguicula. Pflanzen verbinden Menschen – in vielerlei Hinsicht und die Pflanzen kommen immer durch Menschen zu uns – in jedem Fall. 
Und ich lerne mal wieder. Substrat für Sansevieria: da können wir in der Gärtnerei nochmal nachschärfen. Es geht noch mehr in den Details. Auf diese Weise dem eigenen Beruf neu zu begegnen, das ist ein schönes Geschenk!
Ich mag die regelmäßigen Beobachtungen der Pflanzen seiner Sammlung, wie Herr Maria die Herkunft und seine Pflegegewohnheiten in die Geschichte einwebt. Immer wieder entdecke ich neue Details für mich.
Und ich mag die Ausstattung des Buches. Regelmäßig eingestreut zu den Pflanzengeschichten: wunderbare Strichzeichnungen der jeweiligen Pflanze.
Ich habe gelernt, wie aufwändig und schwierig es ist, solche Illustrationen zu erstellen, wie geschult das Auge sein muss, um die typischen Merkmale einer Pflanze von Anomalien zu unterscheiden – und dass erst so auch Darstellungen von wissenschaftlichem Wert entstehen.
Etwas Vergleichbares kenne ich zuletzt von Hans-Jürgen Thorwart, der bis kurz vor seinem Tod am Naturkundemuseum in Leipzig tätig war und der ein hervorragender Kenner sukkulenter Pflanzen war.
Bettina Mertz ist Illustratorin und hat für die bemerkenswerten Bilder in diesem Buch gesorgt.
Links und mehr gibt es wie immer in den Shownotes – oder unter www.cactuspodcast.de/herrmaria
Instagram: @bettina_mertz
 
Mir fällt gerade auf: Das wird wohl keine gut übliche Rezension.
Ich hab gerade das Gefühl, bei einer Rezension muss deren Autor seine Seele verkaufen, denn wenn das Buch gut ist, dann wird die Verpflichtung schwer, sich kurzzufassen. 
Umgekehrt: fasst sich der Rezensent kurz, dann zahlt der das mit dem Ignorieren von ihm am Herzen liegenden Details. Eine Falle, in die ich mich vollen Bewusstseins werfe und auf den Ausgang gespannt bin.

Kakteen und Widersprüche des Herrn Maria

Es gibt viele erwähnenswerte Details bei Herrn Maria. Die Widersprüche, die wir alle im Leben haben, wir uns aber nur selten bewusst machen. Viel lieber schauen wir bei anderen nach.
Ich bin mir gerade unsicher, ob der Herr Maria im Buch tatsächlich Philosoph sein soll, oder ob ich das nicht versehentlich interpretiere.
 
Schöne Details: Herr Maria nimmt mich mit zum Essen und zum Kochen. Er teilt seine Rezepte mit mir so plastisch, dass ich beim Lesen ein Pfützchen auf der Zunge habe.
Deswegen löst bei mir die Ankündigung, dass Herr Maria zu seinen Pflanzen hinaufsteigt, gleich mehrfach Vorfreude aus. Neue Pflanzengeschichten – und das schlichte pawlowsche Glück ergreift mich auch gleich noch mit. Wenn ich wieder zu Hause bin, dann freue ich mich schon darauf, das Paprika-Huhn von Herrn Marias Großtante für unsere Familie zu kochen.
 
Noch ein anderes Detail kommt mir in den Sinn, sooft Herr Maria die Steige zu seinen Pflanzen im verglasten Dachboden erklimmt.
Mein Großvater Walther Haage erzählte von seiner Freundschaft zu dem bereits betagten Kakteenforscher Friedrich Bödeker. Er besuchte Bödeker in Köln und schildert, wie er die Treppen bis ins Dachgeschoss emporsteigt, der dort zurückgezogen mit seinen Kakteen lebt. Im Laufe des Gesprächs kommen beide auf die Wohnsituation zu sprechen. Bödeker sagt: „den Mammillaria ginge es hier oben, entfernt von der Straße und näher beim Sonnenlichte am besten, sie würden so fröhlich wachsen und blühen.“ 
Ich hatte vor meinem geistigen Auge immer die Bilder vom Spitzwegs Armen Poet und seinen verschiedenen Dachfensterszenen. Sie strahlen für mich immer einen verborgenen inhaltlichen Reichtum aus, der von Brauntönen und von Konzentration versteckt wird.
 

Von Lebensglück, Dankbarkeit, Haaren in der Suppe und einem schnellen Ende

 
Dankbarkeit – im zweiten Brief des Philosophen ist das Thema. Es geht um die Selbstverständlichkeit und mit Blick auf eine Veränderung in unserer Gesellschaft: die verborgene Strafe der Undankbarkeit.
Der Philosoph zitiert Senca: „Der Undankbare quält und zermartert sich. Was er empfangen hat, ist ihm verhasst, denn er soll es erwidern. Darum setzt er es herab, während er Beleidigungen aufbauscht.
Die Strafe ist der Verlust von Lebensglück.“
Ich glaube, das erleben viele Menschen derzeit.
Auch ich tappe in diese Falle und ärgere mich dann über mich selbst. Wenn ich schlecht gelaunt essen gehe zum Beispiel – dann können Koch und Kellner sich die Beine ausreißen, ich finde mein Haar in der Suppe – und hab mir – und anderen den Abend verdorben. Oft hab ich aber das Glück und erkenne, was gerade passiert und kann mich anders entscheiden.
 
Beim Lesen frage ich mich mal wieder: „Was macht ein Philosoph eigentlich von Morgens bis Abends?“
Auch wenn Herr Maria vorgibt, jenseits der Philosopherei noch etwas anderes getan zu haben, es verwässert und verweltlicht mir das Bild von ihm zu sehr. Das tun seine Exkursionen in die Küche und zu seinen Pflanzen zwar auch – das ist hingegen das Salz in der Suppe – und das, was ihn überzeugend menschlich sein lässt. Spannend, welche Klischees ich so durch das Leben trage.
 
Andererseits: die Frage – „Was macht ein anderer Mensch während seines Tages“, die beschäftigt mich ohnehin häufiger. Ich frage mich manchmal, was wäre meine Antwort, würde ich gefragt werden, was ein Kaktusgärtner so den lieben Tag lang treibt.
 
Was ich machen werde: ich erstelle einen Index für die schönen Pflanzen im Buch – gibt es dann auf dieser Seite zur Episode. www.cactuspodcast.de/036
 
Was ich nicht machen werde – und das fühlt sich gerade ein bisschen hart an: 
keine Conclusion – ich werde das Buch nicht bis zum Ende begleiten, nicht nur, weil meine Beschreibung länger wird, als sie eigentlich geplant ist – sondern auch, weil sonst vom Urlaub mit meiner Frau nicht mehr viel bleibt. 
Ich möchte mir – und jedem Leser ausreichend Substanz lassen, um das Buch auf eigene Faust und im eigenen Geist zu entdecken – dabei kommt schließlich am meisten rum. 
Aber ich möchte das Buch jedem warm ans Herz legen – gern auch bei mehr als 36 Grad – die wir gerade haben. 
 
Und sollte der Weg Herrn Maria irgendwann mal nach Erfurt in die Kakteengärtnerei führen – dann bin ich sehr gespannt, was dann passiert.

Hierhin kommt der Index zu den Pflanzenzeichnungen im Buch …

 

Liest du schon?

Bist du schon fleißig am Lesen?
Dann schreib mir, welche Pflanzengeschichte von Herrn Maria du am meisten magst! Per Mail an studio@cactuspodcast.de 
Wenn du das Buch noch nicht hast – hier kannst du es bestellen – z. B. bei Kakteen-Haage
 
Stay tuned! 
Schöne Grüße aus der Blumenstadt Erfurt
Ulrich Haage mit schicken Grüßen aus der Kakteengärtnerei.
 

Shownotes:

Darüber habe ich erzählt:

  • Die Wunderbare Reise des Herrn Maria – geschrieben von Eugen M. Schulak
  • Illustrationen von Bettina Mertz – Instagram: @bettina_mertz 
  • Verlegt bei Amalthea Signum mit 272 Seiten als Paperback, Hardcover oder E-Book

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Auch diesmal habe ich mir wieder viel Mühe gegeben, die Shownotes mit noch mehr Informationen zu ergänzen.

 

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… und hier kannst du das Video der Episode direkt anschauen …
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Über den Autor

Kaktusgärtner bei Kakteen-Haage | Website | + posts

im Podcast seit 2019

Blogger seit 2005,

Kaktusgärtner aus Passion - seit 1970,

... in einer Familie von Kaktusgärtnern seit 1822

... und Gärtner in der Blumenstadt Erfurt seit 1685