Ich bin unterwegs. Eigentlich Urlaub – und doch ist es immer ein bisschen dienstlich.

Und deswegen auch ein bisschen Reisebericht. Und außerdem: – angepiekt hat mich die liebe Nicki die just aus Indien bloggt.

Vorgestern in Frankfurt gestartet, dann Stop in Dubai und heute Bangkok.
Stopover auf dem Weg nach Neuseeland.

Mein hübsches Hotel liegt direkt hinter der manchmal etwas verruchten SUKHUMVIT Road. Ganz in der Nähe ist der seafood market von Bangkok. Ein Restaurant, das direkt an den lokalen Fischmarkt gekoppelt ist und Vielfalt und Frische verspricht. Es klingt verlockend, Seafood von der heimischen Quelle mutmaße ich, aber es ist anders, ganz anders. Ein sehr erklärungsbedürftiges Erlebnis.

Ich laufe durch die Nacht, kurz vor zehn – nur zwei Straßen weiter – und doch dauert es fast 40 Minuten. Offenbar werden die Straßen hier gern mal verkauft. Mehrfach enden Durchgangsstraßen an einem großen Tor mit Wachmann davor und mondänem Haus dahinter.

Ich finde mein Ziel dennoch, es leuchtet ausreichend laut über die Straße: ‚If it swims – we have it‘ ist der Claim. Das ist ja mal ein Versprechen!

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Gleich am Eingang des Seafood Market begrüßt mich ein freundlicher älterer Herr in schwarzblau und führt mich durch den riesigen Saal zu meinem Tisch.1
Am Tisch werde ich sofort von einem anderen Herrn übernommen und an die Eistheke mit dem Fisch geschickt. Unterwegs trifft dieser einen weiteren Herrn in dunkelblau, mit einem Einkaufswagen – wohl für mich. Ich werde nicht ganz schlau was er von mir will und gehe einfach mal den Fisch angucken.

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Nicht so einfach, der Fisch ist weg. Ich pule etwas im Eisberg und ziehe an einem Langustenbein. Hinter mir macht eine hübsche junge Dame in heller blau auf sich aufmerksam. Sie hätte meinen Einkaufswagen, bedeutet sie mir und ein Bündel Plastiktüten. Ich stopfe die Languste wieder zurück ins Eis, ahnend, dieser Abend wird kostspielig. wpid-img_20150924_220932.jpgIch lade mit einer Bratwurstzange in die Tütchen was mir ausreichend lecker oder unbekannt erscheint. Manches kenne ich, das meiste aber nur aus leckeren Büchern. Klar: aus heimischen Gewässern kommt davon kaum etwas. Flyfood wäre wohl angemessener.

Beim Gemüse wird es eng. Habe ich mich doch in meiner Gärtnerausbildung speziell auf ganz besonders exotische Gemüse konzentriert, Morning Glory muß ich erstmal nachschlagen (Bo-ke, zu deutsch Wasserspinat), bei Sayotae bleibt selbst Google stumm. Ich schaue meine nette Einkaufsbegleiterin Kraut scheint wohl nur hier bekannt und könnte ein Farn sein. Ein ganzes Bund wäre auch zu viel geworden. Ich entscheide, die Wagenladung reicht erstmal. Schnurstracks zur Kasse. Auf dem Weg muss noch ein Stück Seegurke mit.
Freundlich wird mir nun der Preis offeriert.
Ich bekomme einen Atemaussetzer. Dafür bekommt man in Deutschland einen guten schlechtsitzenden Anzug. Das wird dann wohl mein bislang teuerstes Essen. ‚Hinein in den Genuss!‘ sage ich mir zücke die Kreditkarte wohl wissend: ab morgen gibt’s nur noch Garküche.
Meine junge Begleiterin übergibt mich nun in die Obhut einer hellblaueren etwas reiferen Kollegin die mich und meinen Einkauf zum Tisch bringt. Dort erwartet mich eine weitere gleich hellblaue Dame um mir meine Tüten unter die Nase zu halten und „boil, boil, boil“ zu murmeln.
Ah! Ich verstehe: wir gehen gerade die gewünschte Art der Zubereitung durch.
Cool. Nein, nix boilboil. Ich hätte auch gerne auch barbecued und so. Sie nickt eifrig und rollt mit meinen sündhaft teuren Einkäufen von dannen.

IMG_0316Ich gucke rum. Für so groß ganz schön leer der Laden. Und ein merkwürdiges Feeling. Irgendwie retro, aber nicht gewollt und hip, sondern ganz echt. Ein bisschen wie Sozialismus. Und dann hab ich das Bild: wie ein ‚Gastmahl des Meeres‘ aus den 70er DDR Jahren, nur eben asiatisch. Verordnete Freundlichkeit, gar nicht schlecht – nur irgendwie bemüht das ganze. Ach ja – die Idee stammt ja von einem Chinesen – passt – ein volksdemokratischer Riesenfischladen. Ein bisschen schräg das ganze, aber irgendwie auch witzig. Dicke Plastikfische fliegen an der Decke, IMG_0317in der Mitte ein falscher Orangenbaum an dem neben Plastikorangen auch chinesische Überwachungskameras wachsen. Eine riesige Neon-Installation an unendlich vielen Fäden verläuft von ‚Long live the King‘ zur Fischtheke. Ich sitze immer noch auf meinem Drahtstuhl, vor mir ein Chili Näpfchen und – ah – wir sind noch nicht am Ende: dort steht die Service-Liste. wpid-img_20150924_232516.jpgDie Ordnung der Kochgebühren. Ob ich wohl auch selbst bei Tisch kochen darf? Jede Zubereitung kostet noch einmal extra. Übrigens auch das bringen einer Flasche Wein. Ratsching!

Ich begucke mir derweil noch einmal das Personal, das in hellen Scharen unterwegs ist. Und ich entdecke ein System dahinter:

Küchenkasten
Weiß, jung und weiblich: die hübschen Mädels zum Empfang
Dunkelblau – die Zumwagenbitter | wenn dunkelblau und weiblich, dann hinter der Kasse sitzend
Hellblau – die Einkaufshelferinnen | älter: Einkaufindieküchebringerinnen
Weinrot – vermutlich die Getränkeservierer, die haben mich zwar freundlich gegrüßt und mir begeistert mitgeteilt, das es mir sicher sehr gut schmeckt, mich aber sonst ignoriert, ach ja, und Abkassierer
Hellrot mit Weste – die Tischabräumer
Weiß mit Hut – die Fischköche
Grau – Reinigung
Hawaiihemd in hellblau –  die Fischausdemeisräumer

Juchu! Mein Essen kommt!wpid-img_20150924_222439.jpg

Hm. Salatblätter und drei Shrimps. Übersichtlich. Da sich nichts weiter tut fange ich einfach mal an zu pulen. Ah, in Wasser gekochte Shrimps. Sonst nix. Schmeckt etwas flach. Aber ich hab ja den Chili Napf. Hossa! Jetzt ist es gleich wieder ganz viel Geschmack. Ein bisschen sehr. Die hellblaue Dame kommt und stellt mir einen Teller Gemüse in grauer Soße hin. Hinter ihrem freundlichen Lächeln spüre ich einen Hauch Missbilligung und leichten Vorwurf. Vielleicht hätte ich noch warten sollen. Vielleicht beginnt man hierzulande nicht mit Shrimps. Oh je. Dann probiere ich das Gemüse. Das hat Geschmack. Knoblauch, Ingwer und diese speziellen winzigen roten Zwiebeln… Passt gut zu Erbsenschoten und den feinen Schlauchpilzen. Ach ja, hier ist ja auch meine Seegurke. Schmeckt ganz deutlich nach gar nix.
Jetzt treffen auch die Krabbenbeine ein – sogar mit Tomaten – hübsch. Ich hätte mich über noch etwas Rotkrautsalat nicht gewundert. Gut, dann sind ja jetzt alle da. wpid-img_20150924_222721.jpgDie Krabben aus Florida sind wieder pur, da hilft eine vorsichtige Chili Dosis. Die Beine aus Alaska schwimmen in der schon bekannten grauen Soße, schmecken also nach Ingwer und Knobi. Kann – geht aber auch besser. Die Schalen sind schon vorgebrochen – mit Gabel und Löffel wird es auch eng bei der Fleischförderung. Meine Finger sind schnell so eiweißig, das ich nicht mehr schreiben kann, weil das Display verklebt ist. Das Problem lässt sich leicht lösen, neben mir ist ein Tellerchen mit einer feuchten Kompresse.
wpid-img_20150924_222726.jpgJe länger ist esse, desto trauriger wird mir.

Am Ende bin ich der festen Überzeugung: ich hätte das ganze Zeug besser in eine Garküche vor der Tür geschleppt, dann wäre das ein echtes Fest geworden. Dann hätte der schön gegrillte Tintenfisch auch keine Gummikonsistenz gehabt.

Vor mir eine Gruppe Japaner die aufgeregt ein Gruppenselfie an Orangenbaum machen. Am Nachbartisch wird von meinem dem schwarzblauen Herrn gerade jemand in tiefster Demutshaltung verabschiedet, jemand der ein bisschen so aussieht wie Muhammed Ali und einige unauffällige dunkle Herren mit sich hat. Why not. Beim Schneider um die Ecke ist ein Foto von ihm – dem Schneider und Steven Seagal nebst Autogramm. Kann ja passieren.

wpid-img_20150924_220921.jpgIch beende mein Essen freudlos, denke an die gefesselten Krabben in der Auslage mit Aussicht  und verschwinde, nachdem ich auch die Cooking Charge beglichen habe sehr abrupt, nachdem um mich herum alle Stühle auf den Tischen stehen und ich zum ersten Mal ehrliche Freude in der Verbeugung und dem Wunsch, ich möge eine gute Nacht haben verspüre.

Ich habe gelernt heute und übe mich ein wenig in Frustbearbeitung.

And I will not call again!

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Eins fällt mir am Ende noch auf: diese Krabbenschere hat ein Gesicht mit Auge. Die braunen Puschel sind den Glochidenpolstern von Opuntia verdammt ähnlich. Aber im Unterschied zu denen bleiben sie locker und weich.

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  1. später wird sich herausstellen, das ist der Generalmanager gewesen, wohl ein Zufall []

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