Sonntag morgen, diesig, kurz vorm Regen, unterwegs in Sachen Kultur.

Belvedere, Musikgymnasium, wie in einem Amphie-Theater sitzen große Mengen illusterer Menschen auf wenig komfortabel aussehenden Holzstufen und lauschen.

Frau Lieberknecht hält eine Ansprache

Noch illusterer: unsere Ministerpräsidentin Lieberknecht hat Geigers Buch gelesen, sagt sie – und versucht sich in der Literaturkritik. Spricht bedeutungsvoll über den König, den Vater, Sohn, unsere Unzulänglichkeiten, Krankheit, Demenz, Tod – und unausweichlich: die Fäden in unsere heutige Gesellschaft.

Die Laudatio von Dr. Meike Feßman. Ich gestehe meine gänzliche Unbeschlagenheit was Geigers bisheriges Lebenswerk angeht – nun weiß ich immerhin, wie ich dass was ich noch nicht gelesen habe bestenfalls verstehen könnte. Frau Feßmann schien das Buch „Alles über Sally“  am besten zu gefallen, zumindest von diesem Buch habe ich nun eine grobe Vorstellung.1

Kritik? – so richtig kritisch ist keiner der Festredner, Geiger ist vielmals hochverehrt und man ist des Lobes voll. Gehe ich recht in der Annahme, dass Literaten wohl schreiben, nicht aber reden können müssen? Man spricht jedenfalls recht steif. Herr Dr. Hans-Gert Pöttering MdEP würzt seine Begrüßung einmal mit persönlichem: freut sich darüber, dass Ministerpräsident a. D. Bernhard Vogel sein Lob gestisch immer zu beschwichtigen sucht. „Aber er hat mich nach einer Rede noch nie darum gebeten, das nicht wieder zu tun“. Allgemeine Freude. Ihm gefällt es auch, drum verkündet er: „Sehen Sie: Spontanität ist auch Kunst“.

Ein weiteres Geiger-Lieblingszitat – in aller Munde:

Das Leben ist ohne Probleme auch nicht leichter.

Und dann spricht er selbst. Nun mit Preismäppchen unterm Arm, vielleicht wirklich gerührt, aber vor allem ist er vorbereitet – das ist

Arno Geiger erhält Literaturpreis 2011

offenkundig anders als bei Oscar & Co. Hier gibt es keine Viersatz-Dankes-Stammel-Rede, Geiger spricht – nun gut, auch er liest ab, aber dies gut. Von Schlägen und Grenzen. Liest vor von seinen nächtlichen Grenzgängen: „Wir sind in meiner Kindheit jeden Herbst über die Grenze nach Deutschland gefahren und haben pro Person eine Stiege Äpfel zollfrei nach Hause (Österreich) gefahren“. Und von seinem Onkel, der Zolltierarzt war und bei jeder Gelegenheit eingenickt ist. Darum musste ihn beim Autofahren immer ein Kind begleiten und wach halten. Oder die Geschichte vom versehentlich amputierten Wellensittich … aber dass führte jetzt zu weit. Auch über Adenauer und das Alter wird noch mal sinniert.

„Der wurde von seinen Parteikollegen doch nur in immer höhere Ämter gehievt, weil sie ihn für eine Übergangslösung hielten“.

Fazit: eine Literaturpreisverleihung ist anstrengend, wenn sie im Stehen stattfindet, man spart sich möglicherweise einige wichtige Bücher gelesen zu haben, denn man weiß vielleicht, was drin steht (bringt sich aber dennoch um den eigenen Genuß) – und fürs nächste Jahr überlege ich mir, ob mir nichts besseres einfällt –  vielleicht ein Buch lesen2.

Im Park regnet es jetzt. Und die illusteren stehen Schlange für einen Unterschrift.

 

 

  1. am Rande: Amazon ist dieses Buch „im  Tausch“ ganze 0,60 € wert []
  2. Vielleicht bin ich auch neugierig, ob eine Literaturpreisvergabe immer gleich abläuft und bin doch wieder in Weimar []

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