Wir lernen unterwegs sehr viel. Zum Beispiel sollte man wissen, ob und wie ein Navigationssystem zu verstehen ist. TomTom sagt unsere Ankunft für 15 Uhr voraus.
Wir sind schon einige Zeit am Zweifeln, ob wir uns vielleicht in der Zieleingabe vertan haben, denn die Straßen werden immer kleiner und steiler, die Kurven beängstigend enger und alles erinnert mich mehr an die Schweiz denn an Italien. Eine Abkürzung über Bergpfade? Aber wie so oft macht es Sinn, genau hinzusehen. Just als wir „bitte wenden“ sollen – es ist etwa 12.17 Uhr, also noch gut Zeit bis zum Ziel, stolpere ich über etwas, was ich sonst eher selten sah, schon gar nicht in entlegenen Orten: ein Schild mit dem Straßennamen via Nanon. Und da steht das verblichene Firmenschild unseres Ziels. Panarotto.
Ein Haus mit kläffendem Hund, im Hintergrund zwei Gewächshäuser, alles wirkt merkwürdig verlassen. Da außer dem Hund niemand von unserer Ankunft Notiz nimmt haben wir Zeit, einen Happen zu essen und nach dem Grund für unsere überpünktliche Ankunft zu suchen.1
Nach dem Mittag und weiterem warten kommen uns langsam Zweifel, ob überhaupt jemand hier ist. Das Telefon ist nicht erreichbar, es geht auf 15 Uhr zu und uns schwindet langsam die Zeit. Wir beschließen weiterzufahren und werden – sofern noch Zeit ist, auf dem Rückweg noch einmal vorbeikommen. Ich schreibe eine kurze Email – just in dem Moment öffnet sich die Tür. Paolo Panarotto mustert uns kurz, erwiedert unseren Gruß und bedeutet uns mit einer Geste, ihm zu folgen. Er entlässt uns in sein Gewächshaus und beginnt davor auf und ab zu gehen.
Denis und ich beginnen Pflanzen auszusuchen und arbeiten uns durch das Haus. Es gibt Pflanzen in guter Qualität und traurige Gestalten, alltägliches und selteneres, bei manchem bin ich verblüfft über die Preiswünsche, in Summa ist das Angebot auf Sammler ausgerichtet. Das Gewächshaus am Hang ist in zwei Ebenen gebaut – das werden wir so noch häufiger finden. In der „oberen Etage“ finden wir viele frisch getopfte Exemplare und Vermehrungsschalen. Als Denis die erste Schale genauer inspiziert steht Paolo augenblicklich neben ihm, um ihm zu erklären, dass dieser Teil nicht zum Verkauf stünde. Denis ist sauer. Ich verhandele und erkläre ihm, dass wir natürlich auch seine Töpfchen kaufen, aber die Schale macht es für beide Seiten einfacher, wir brauchen weniger Stauraum im Auto und er kann sich einmal topfen sparen. Es dauert noch ein wenig und dann ist er wie verwandelt2
Paolo wird gesprächig, beginnt uns plötzlich Schätzchen3 zu zeigen, die wir übersehen haben, erzählt Geschichten über seine Pflanzen. So macht das doch Spaß. Es gab nun doch Schalen zu kaufen und eine Reihe Pflanzen – in erster Linie kleinere Mengen für unseren Mutterpflanzenbestand landete in unseren bis dahin noch leeren Kisten. Darunter natürlich Turbinicarpus panarottoi und schöne Schlumbergera opuntioides. Nach einer Stunde waren wir uns handelseinig und machen uns auf den Weg zurück zur Autobahn.
In einem Supermarkt gab es die Versorgung für die nächsten Tage – und eine traumhafte Pizza auf die Hand. Der Supermarkt hatte amerikanische Dimensionen und war für das verbleibende Ladevolumen unseres Autos nicht zuträglich.
Unser nächstes Ziel hieß Sizilien. Wenigstens für die nächsten vier Stunden. Es war dunkel, viele Berge, Tunnel, Baustellen, LKW – eben alles was auf einer langen Fahrt Freude macht. Denis schlief auf dem Beifahrersitz und das war gut so. Ich hätte auch nicht gerne dort gesessen und mir beim fahren zugesehen. Mir dämmerte langsam, wie weit die Strecke ist, die vor uns lag – und … dann müssen wir auch noch zurückfahren und dann auf der anderen Seiten und noch bis Erfurt … und am Sonntag ist Bundestagswahl, da müssen wir wieder zu Hause sein – also muß ich mir was ausdenken. Wenigstens das ging ganz gut bei der Fahrt, nachsehen ging natürlich nicht bei den Kurven. Ich überlegte mir, direkt von Sizilien aus per Fähre nach Westen überzusetzen und einmal die Tour nach Norden zu sparen. Darum würden wir heute bis Rom fahren und dort kurz bei Alan Butler vorbeischauen und gleich weiter nach Sizilien fahren.
Nachdem Denis wieder wach war, konnte ich ihn schnell von dieser Idee überzeugen. Ein kurzer Anruf in Erfurt und Ralf recherchierte für uns die Optionen. Eine Verbindung nach Nizza gab es von Sizilien nicht, aber Genua wäre möglich – das hatte Denis im alten ADAC-Atlas auch schon herausgefunden. Mit etwas mehr als 300 Euro wäre es fast genau so teuer, wie selbst zu fahren und da die Fähre über Nacht fährt könnten wir uns sogar noch ein wenig erholen. Blieb nur die spannende Frage – schaffen wir das in der Zeit?
Eine Stunde nach Mitternacht strichen wir den Besuch bei Alan und wärend Denis jetzt fuhr, beschlossen wir, morgen direkt nach Sizilien zu fahren, um dort am frühen Abend anzukommen und die erste Runde durch die Gärtnerei zu drehen. Eine Stunde später war auch Denis gar und rollte auf einen Rasthof auf dem wir eine grauenhafte Nacht zwischen Kühllastern verbrachten und kaum schliefen.
- die Lösung war bei genauerem hinsehen offensichtlich: 15 Uhr, allerdings in 56 Stunden – dann nämlich wären wir laut Plan wieder in Erfurt – unserem letzten Ziel, vorausgesetzt wir fahren ununterbrochen [↩]
- über den Grund für die „Verwandelung“ konnten wir nur mutmaßen, ob es Unwillen über eine gestörte Mittagspause war, ob er erst mit der Zeit die Überzeugung gewann, das wir mehr als 150 Euro bei ihm lassen werden haben wir nicht ergründen können, jedenfalls war er um 16.30 so in Fahrt, dass er sogar extra einen Spaten holte, um eigenhändig für Denis ein Rhizom eines Bambusartigen Grases aus dem Boden zu hacken [↩]
- weitere Details darüber im letzten Beitrag des Reiseberichtes [↩]
Über den Autor
im Podcast seit 2019
Blogger seit 2005,
Kaktusgärtner aus Passion - seit 1970,
... in einer Familie von Kaktusgärtnern seit 1822
... und Gärtner in der Blumenstadt Erfurt seit 1685