Ich liebe unsere A-Klasse, ich fahre gern und viel durchs Land, ich habe nicht mal eine Ahnung, wie viele Kilometer es im Jahr sind.
Trotzdem fahre ich lieber Bahn. Bahnfahren ist einfach schön – bestimmt weil es diesen Touch von teurer und Luxus hat. Wir Autofahrer rechnen uns das ja täglich vor.
Ich muß um 11 in Schwerin sein. Per Auto 5,5 bis 6 Stunden von Erfurt. Die Bahn machts in 4 bis 5 Stunden – aber jetzt kommt der Knackpunkt: sie macht es nicht jederzeit. Konkret startet meine Verbindung um 4:44 Uhr in der früh. Unchristlich. Selbst der besten Gärtnerin von allen ist das zu früh.
Also steht um 4:12 Uhr ein Taxi vor dem Tor. In Rekordzeit von nicht einmal vier Minuten stehe ich auf dem Erfurter Hauptbahnhof und wünsche meinem Fahrer einen schönen Feierabend – der geht jetzt ins Bett. Willi will nicht ans Fenster kommen. Mir bleibt dafür noch reichlich Zeit, einen Kaffee zu kaufen und eine ältere Dame zu beobachten, die etwas verwirrt scheint und geniert auf einem Mülleimer scheibt: „ihr seid Schweine Gotha und Eisenach“
Hupf in den Zug – ein IC mit ältlichem Interieur und vereinzelt Fahrgästen. In jedem zweiten Abteil versteckt sich jemand dösend. Ich suche mir eine bequeme Ecke, der Wagon fährt sanft an, ich kippe in die Sitze und schlafe wieder ein. Werde wach, als ein rot-blauer Kontroletti im breitesten thüringisch nach der Fahrkarte fragt: „na Meister, hamwas uns schon gemütlich gemacht? Nich vagessen: in Berlin umsteigen“. Werde wieder wach, als der Zug gerade den Bahnhof Wittenberg verläßt. Mir wird kurz heiß. Ist Wittenberg vor oder nach Berlin? Ich befinde nach kurzem Nachdenken: vor – das andere heißt Wittenberge.
Draußen wird es gerade hell, der Frühnebel liegt dicht über der märkischen Landschaft und erinnert mich an den ersten Blick morgens aus dem Zelt beim wandern. Der Bahnhof Jüterbog sieht alt aus, als würde seine Rente nicht mehr reichen, fast schon verfallen. Keine russischen Panzer mehr, statt dessen kaputte Streckentelefonhäuschen, leer und leblos.
Jetzt kommt gleich der große Übungsplatz auf den ich mich als kleiner Junge immer gefreut habe1. Aber statt Übungsplatz mit Schützenpanzerwagen und LKW im Matsch kommt ein Spielplatz für Menschen mit Geländewagen zum Ringeln fahren. Dann kommen doch noch die weißen Warnschilder, die wie Taschentücher im Wald liegen. VERBOTEN! … betreten, explodieren, hinschauen – ich weiß es nicht. Ob hier noch jemand übt? Vor acht Jahren bin ich mit unserem L60 durch die Panzerteststrecke in Templin gefahren – dort hat auch niemand mehr geübt. Verboten war es bestimmt auch, ich habe aber kein Schild gesehen damals und der LKW hat sich sehr zu Hause gefühlt, obwohl es im Herzen eine Zivilversion war.
Bahnhof Großbeeren – komisch – auch so winzig und unscheinbar, sehr dunkel, als würden hier täglich noch Dampflocks rangieren. War hier am Ort nicht das große Gemüse- und Zierpflanzen-Institut? Aber die Besucher kommen vielleicht nicht per Bahn hierher. Der Zug rast mit beängstigender Geschwindigkeit – würde ich mit dem Auto fahren – bestimmt 210 Stundenkilometer. Muß ja, woher soll sonst der Zeitvorteil kommen. Wenig später Ankunft in ‚Berlin tief‘ – im Keller. Das ist also der schöne neue Berliner Hauptbahnhof. Ich finde aber nix wo Stahlträger runterfallen könnten. Es wäre ein netter Zug gewesen, wenn man für unbedarfte Besucher wie mich ein Hinweis auf diese typische Sehenswürdigkeit angebracht hätte.
Gleich verlasse ich Berlin wieder im Regionalexpress, einem schick modernisierten Doppelstockzug mit lustigen Ankunftsjingels. Mein Gegenüber trinkt lecker duftenden Kaffee aus dem Pappbecher, sein Tagesspiegel atmet intensiv Druckfarbe. Draußen scheint die Sonne, schöne Dörfer, Kiefernwälder, Windräder, kein Telefonempfang, Maisfelder und drin ein Kränzchen reiferer Buga-Besucher die vernehmlich eine kontroverse Debatte über verschiedene Stiftzähne und den Vorteil privat krankenversichert zu sein führen.
Ich verpasse den in Modellbauerkreisen berühmten Bahnhof Neustadt (Dosse) zu fotografieren. Kurz davor steht eine Linie mit bestimmt 12 L60 und W50. Die Wälder draußen sehen so aus, als ob man dort viiiiiiele Pilze finden könnte. In zwei Minuten bin ich in Schwerin – habe viel gesehen, und hundemüde, aber der Tag fängt erst an. Sitzung bis heute Nacht.
- bestimmt war es eigentlich auch verboten, da überhaupt draufzuschauen [↩]
Über den Autor
im Podcast seit 2019
Blogger seit 2005,
Kaktusgärtner aus Passion - seit 1970,
... in einer Familie von Kaktusgärtnern seit 1822
... und Gärtner in der Blumenstadt Erfurt seit 1685
Super! Weiter so 🙂
nicht wahr? …
Als Sahnehäubchen noch eine kleine Geschichte, die sich auf der Rückfahrt ereignete:
http://cactusblog.de/2009/09/19/bahnfahrerlebnisse-teil-2/
bahnfahren ist schon immer besser gewesen als kino. und wenn dann noch so fein darüber berichtet wird: krönung! 🙂